2009 – 2010

Nahversorgungszentrum Grunewald, Berlin

Auerbachstraße 10-14, Berlin-Grunewald

Gewerbegebäude

  • Büro- und Geschäftsgebäude
  • ca. 5.200m² BGF
  • Einzelhandel (1.200m² Verkaufsfläche)
  • Gewerbe (500 m²)
  • Büro (2.200 m²)
  • Neubau
  • Projektentwicklung
  • Entwurfs-, Genehmigungs- und Ausführungsplanung
  • Bauherr: Dr. H.G. Huth

Auszug aus einer Dankschrift

Wenn heute ein Investor einem Architekturbüro den Auftrag für ein Objekt gibt, das auf einem Grundstück in S-Bahn nähe Büroetagen und einen Supermarkt enthalten soll, kann einem leidgeprüften Großstadthirn wenig anderes vor das innere Auge treten, als eine Allerweltskiste von Neubau, von der man nie erfährt, was vorne und was hinten ist, die billig, schnell, auf kürzeste Verwertung und Abschreibung konzipiert und dementsprechend gesichts,- gestalt- und charakterlos wieder einmal einige hundert Quadratmeter Erdoberfläche vollstellt.

Um diesen sich fast allerorts ansammelnden, stadtzerstörenden Gräueln zu entgehen, fahren Berliner gerne in die noch wie unberührt vor sich hindämmernden Villenviertel, nach Grunewald beispielsweise, wo einstmals kaisertreuer Bürgersinn das Eingangsgebäude der S-Bahnstation wie eine geglückte Melange aus Barockschlösschen, Geheimratsvilla und fröhlichem Wirtshaus im Spessart errichtete und ein besonntes Vorplätzchen dazugab, auf dessen Mittelinsel Flieder- und Rosenbüsche prangen und das dem Bahnhöfchen eine ringförmige Vorfahrt bereithält, noch heute wie für Pferdedroschken geeignet. Ringsum werfen große Bäume alter Parks ihre Schatten. Ein bescheidenes Denkmal aus Eisenbahnschwellen, das an die Deportationen der 1940er Jahre erinnert, darf freilich nicht vergessen werden.

Biegt man, aus dem Bahnhof kommend nach rechts in einen solchen schattigen, leicht ansteigenden Weg, trifft man seit neuestem auf zwei weiße, dreigeschossige Zwillingsbauten. Sie stehen, als ob es nicht anders sein könnte in vornehmer Distanz auf der leichten Anhöhe und überraschen das Auge mit ruhig ausgewogenen Proportionen, mit alle drei Geschosse übergreifenden kannelierten Pilastern auf Sockelpostamenten, mit horizontalen Putzfugen, mit profilierten Horizontalgesimsen und einem regelrechten Kranzgesims an der Dachkante, das, von den Pilastern getragen, jeweils das ganze Gebäude umläuft und ihm geschlossene Gestalt gib t. Die klassischen Gliederformen sind extrem vereinfach, aber nicht zu brutaler Stereometrie wie im Speer'schen Klassizismus, und auch nicht zu einem soften Las-Vegas Klassizismus. Auch mit dem lauten Motivgeklimper der Postmoderne hat das rein gar nichts zu tun. Sie bleiben sachlich, sind richtig gefügt in Horizontale und Vertikale, in Stoß und Überschneidung, so dass man wie in einem Bau von Schinkel dem reichen Spiel der Linien, der Ecklösungen und der tragenden und ruhenden Elemente mit Freude nachgehen kann.

Die die Baukonstruktion umlaufenden Pilaster ergeben einen luftigen, nicht lastenden, sondern eher einen aufstrebenden Gesamtendruck. Sehr geglückt ist in diesem Gefüge das Fensterwerk, das an den Hauptfassaden die Zwischenräume in dem Gerüst der Pilaster und Gesimse vollkommen ausfüllt und mit dunklen Rahmenkreuzen eine eigene architektonische Flächenebene bildet, die in interessanter Weise sich hinter der Rahmenordnung der weißen Bauglieder durchzuschieben scheint. Das sind Details, die einem Bauwerk inneres Leben geben. Borromini hat solche kulissenhafte Verschiebungen der Wandgliederung geliebt. Schinkel hat sie rationalisiert. Hier sind sie zum Gestaltungselement eines völlig modernen Glas- und Betonbauwerks geworden. Noch eine ins Neuzeitliche umgedeutete, gedankenreiche Lösung bieten die Ecken der Bauwerke: Die Aussenachsen der Wände sind an mehreren Stellen betont, indem nicht mehr Glas (das war einst der Triumph des "Neuen Bauens" der Zwanziger Jahre), sondern geschlossene Mauerflächen die Ecken füllen und ihnen eine wohlempfundene Stabilität geben. Zudem sind diese Aussenachsen etwas schmaler als die Fensterachsen, wirken daher komprimierter und fester. Auch die gebälktragende Pilasterordnung spielt hier an den Ecken am Spiel der optischen Verdichtung eine hübsche Rolle mit.

Das Beste daran ist, dass diese Verdichtungen nicht an allen vier Ecken der Bauten erscheinen, sondern an manchen auch fehlen können. Sie täuschen also nicht einen streng konstruktiven Modus vor, sondern sind pure "architektonische Sprache". Wie die frei variierten Fenster in diesen Eckwänden zeigen, kommt hier auch die Innenkonstruktion (Räume Treppen) zu ihrem Recht.

Noch vieles Weitere wäre hier zu entdecken und zu beschreiben- weil eben ein mit architektonischer Phantasie durchdachtes Bauwerk nicht einfach auf einen Typus und einen Nenner zu bringen ist. Erholt, und vom Anschauen solcher Architektur wohltuend bereichert, zieht man weiter. Endlich hat einmal jemand bewiesen, dass heutiger Zweckbau nicht öde zu sein braucht. Und dass ein feines, fast zartes Verständnis für das Wohltuende von Architektur auch in den Verbindungslinien liegt, die einen neuen Bau mit der Geschichte verknüpfen. Die Typologie der reinen Ständerbauten mit großen Fensterzwischenräumen ist in Berlin, seit Schinkel die englischen Fabrikbauten für sich entdeckt und im Gebäude der Bauakademie und des Kaufhauses unter den Linden programmatisch in den Rang des künstlerischen Bauens gehoben hatte, fast unübersehbar. Beton, Guß- und Schmiedeeisen und moderne Glasindustrie haben seit der Gründerzeit und dem Jugendstil immer weitere eigenständige stilistische Ausprägungen geschaffen. So reihen sich die beiden weißen Quader am Bahnhof Grunewald vornehm in eine geschichtliche Linie ein, kommentieren sie- nicht als Programm und Demonstration, sondern kenntnisreich, abgeklärt, mit Geschmack und beinahe, wenn man so sagen darf, mit leichter Hand. Der Architekt, dem dieses glückte, ist Manfred Pechtold.